Skip to main navigation Skip to main content Skip to page footer

1. Platz: Charlotte Köhler

„Derek *2008 † 2019“

publiziert in Go 16.2021 (Magazin der Reportageschule Reutlingen)

Charlotte Köhler (Freie Journalistin)

 

„Von der ersten Sekunde an war sein Leben ein Kampf“, so beginnt Charlotte Köhler ihre Geschichte. Es ist die Geschichte eines Kindes, das keine Chance im Leben bekam.

Erst wird Derek durch den Alkoholkonsum seiner Mutter während der Schwangerschaft geschädigt, dann von ihr über Jahre immer wieder misshandelt. Schließlich landet er als Zweijähriger im Heim, dann in einer Pflegefamilie, die ihn versucht aufzufangen, ihm Liebe und Halt zu geben.

Doch der kleine Junge mit seinen Verhaltens-Auffälligkeiten passt in kein bisher bekanntes Raster. Derek scheitert an Behörden, Betreuern, vor allem aber an einer Gesellschaft, die den Problemen dieses Kindes nicht gewachsen ist, weil sie so im „System“ gar nicht vorgesehen sind. Am Ende nimmt sich der Elfjährige selbst das Leben.

Charlotte Köhler hat die kurze Lebensgeschichte des Jungen rekonstruiert. Akribisch recherchiert sie für ihre Abschlussarbeit an der Reportageschule Reutlingen die Stationen eines Kindes, dessen Fehlstart ins Leben seine eigene Mutter verschuldete. Dazu hat die Autorin stundenlange Gespräche mit der Pflegemutter geführt, Hunderte von Dokumenten von Jugendämtern, Schulen und psychiatrischen Einrichtungen gesichtet. Charlotte Köhler hat auch versucht, mit allen Beteiligten ins Gespräch zu kommen. Zudem – auch das ist besonders bemerkenswert – hat sie jeden Ort aufgesucht, der für Dereks kurzes Leben eine Bedeutung hatte. Großartig ist dabei auch die Foto-Arbeit von Michael Hinz, der Momente und Stationen, Lieblings- und Erinnerungsstücke des Jungen eingefangen hat.

Charlotte Köhler verliert sich trotz dieser erschütternden Geschichte nicht in Pathos, verzichtet auf übertriebene Emotionalität. Die Autorin zeichnet geradlinig, sachlich das Schicksal von Derek nach, der so wenig erlebt hat. Sprachlich reduziert, aber dennoch eindringlich können Leserinnen und Leser dabei die Stationen des kleinen Jungen nachgehen. Ein Text, der mitnimmt – in jeder Hinsicht.

Entstanden ist ein erschütterndes Zeitdokument, das Versagen an vielen Stellen schonungslos offenlegt und auf eklatante Missstände aufmerksam macht.